Montag, 4. August 2014

Baden für Fortgeschrittene



Ich liege in der Badewanne und versuche, eine halbwegs bequeme Lage einzunehmen, während ich einen Teller mit Kuchen über der Wasseroberfläche halte und ein Stück davon auf einer kleinen Gabel vom Teller zum sicheren Hafen des Mundes balanciere. Viermal geht das Manöver gut. Das fünfte Stück Kuchen fällt mir zwischen meine Brüste und überschlägt sich mehrmals auf dem flachen Hang abwärts in Richtung meines Bauchnabels, bevor es, sich langsam auflösend, in den Untiefen meines Badewassers verschwindet. Die Krümel trüben das Wasser in ihrer unmittelbaren Umgebung und ich habe das Gefühl, nun in kontaminiertem Wasser zu sitzen. Essen im Badewasser. Irgendwie eklig. Ich muss an die Eislöffel denken, die in Eisdielen in den Pausen zwischen den verschiedenen Bestellungen immer in die selbe trübe Brühe aus lauwarmem Wasser getaucht werden, und so jedem vernünftigen Menschen die Lust auf eine Waffel Eis schon zwischen Bestellen und Zahlen vereiteln. Stirnrunzelnd esse ich weiter und stelle fest, schon öfter den Fehler gemacht zu haben, die vermeintlich vergnüglichen oder entspannenden Tätigkeiten „Baden“ und „Essen“ miteinander verbinden zu wollen. In meiner Fantasie stellt sich mir das immer wieder wie die Maxime des Genusses dar, doch in Wahrheit sitze ich am Ende nur in trübem Wasser und fühle mich wie ein Walross.
Als der Kuchen endlich gegessen ist, versuche ich es mit dem Lesen eines Buches, einer Tätigkeit, der ich zu selten nachkomme, was mir das Gefühl gibt, faul und ungebildet zu sein, und zu welcher ich mich an Orte retten muss, an denen die Anwesenheit eines Laptops unangenehme bis schlimme Folgen haben könnte. 
Das Lesen klappt erstaunlich gut und hat zur Folge, dass ich in immer kälterem Wasser vor mich hin dümple, bis meine Füße sich zunehmend anfühlen, als würde ihnen jede Lebenswärme entweichen, und die Grenzen zwischen Körper und umgebender Flüssigkeit zu zerfließen scheinen. Ich versuche eine Weile, dem Wasser meine Füße etwas zu entziehen, indem ich sie oberhalb des Wasserspiegels an die Wannenwand stütze. Das hat jedoch nur zur Folge, dass sie nun einzuschlafen oder abzusterben scheinen, so dass ich sie resigniert wieder zurück in die Schwerelosigkeit gleiten lasse. Kurz bevor ich mich endgültig wie eine nasskalte Amphibie zu fühlen beginne, entschließt sich mein linker Fuß endlich zur Eigeninitiative und veranlasst den Wasserhahn dazu, frisches, heißes Wasser in die lauwarme alte Suppe zu geben, die ich mein wohl mein neues Zuhause nennen muss, bis genügend Anlass besteht, dieses erstaunlich spannende Buch wegzulegen und mich in an einen trockeneren Ort zu begeben.

Ein schweifender Blick durch die Nähere Umgebung der Badewanne zeigt keinerlei neue Vorkommnisse, die mich dazu veranlassen könnten, meine gegenwärtige Position zu ändern. Lediglich mein Badehandtuch, das ich auf den Badewannenrand gelegt hatte, um gegebenenfalls meine Hände vor dem Berühren von Gabel, Teller oder Buch trocknen zu können, ist, wie sollte es anders sein, zu weit in die falschere von beiden Richtungen gerutscht und saugt nun, wahrscheinlich schon eine ganze Weile, munter Wasser in sich hinein. Mit einem widerwilligen Grunzen hieve ich mich in eine aufrechtere Position, um es greifen und an seinem sinnlosen Tun hindern zu können. Ich wringe es aus, trockne mir die Hände an einer unversehrten Stelle des Tuches und schiebe es ein wenig auf dem Rand der Wanne hin und her, bis es erneut, zumindest für eine Weile, dem Balanceakt zwischen Badezimmerboden und Wasserspiegel Stand hält.

Beruhigt wende ich mich wieder meinem Buch zu. Leider währt die neu gewonnene Entspannung nicht lange, da ich beim Lesen mit meinen Füßen an der langen dünnen Metallkette des Wannenstöpsels herumspiele und ihn auf diese Weise gedankenverloren aus dem Abflussloch reiße. Sogleich wird die filigrane Kette vom Strudel des abfließenden Wassers an das Abflusslochsieb gesaugt, wodurch sich der Stöpsel nicht mehr ohne Weiteres an seine vorherige Position schieben lässt. Mit den Füßen klappt dieses schwierige Manöver erst recht nicht wirklich, doch ich bin nicht bereit, mein Buch schon wieder aus den Händen zu legen und diese schon wieder nass werden zu lassen. Wie ein aufgebrachter Krake fuhrwerke ich also mit meinen Beinen unter Wasser herum, auf meinem Arsch balancierend und mit angespannten Bauchmuskeln, während ich das Buch mit beiden Händen wild über meinem Kopf schwenke. Als ich meine Füße und Zehen schließlich erfolgreich dazu gebracht habe, zu tun, womit meine Hände sich um ein vielfaches leichter getan hätten, ist mehr als die Hälfte des Wassers aus der Wanne entwichen. Resigniert lasse ich mich zurück ins verbleibende Badewasser sinken. Die abebbenden Brandungswellen schwappen an meinen Bauch und geben mir das Gefühl, eine monströse, moränenartige Hügellandschaft darzustellen. Ein unangenehmes Gefühl in einer so kleinen Wanne. Trotzig versuche ich, mich fröstelnd wieder in meine Lektüre zu vertiefen, gebe jedoch bald leise fluchend auf und beschließe, dass dieses Element vielleicht doch nicht das meinige ist. Wahrscheinlich sind meine Vorfahren nicht ohne Grund irgendwann vom Meer ans Land gekrochen.

Allerdings beginnt der wirklich lästige Teil des Badens ja leider genau in dem Moment, in dem der letzte Rest an Badelust sich endgültig verflüchtigt. Ich tue, was ich vermutlich tun muss, um mich später als erfolgreich gebadet bezeichnen zu dürfen, und verstricke mich dabei wiederum in gesamtgesellschaftliches Problemdenken. Wieviel oder wie wenig Haare an welchen Stellen meines Körpers kann ich mit meinem Wunsch nach sozialer Akzeptanz einerseits, sowie meinen persönlichen Vorlieben andererseits vereinbaren? Was tue ich aus Gründen meiner Sozialisierung; was lasse ich, weil ich es so schöner finde und nicht etwa, weil ich zu faul bin? Ich fühle mich in einem Dilemma gefangen, während mir das Wasser gnadenlos jegliche Restenergie aus dem Körper zieht. Woher soll ich wissen, warum ich etwas schöner finde? Wurde mir das Hirn gewaschen, oder sind Haare tatsächlich überflüssig und unschön? Mit glattrasierten Beinen habe ich das Gefühl, auf direktem Wege dem Patriarchat in die Hände zu spielen, mit Haaren überall fühle ich mich wie eine verwahrloste Sumpfkröte. Mit dem Gefühl leisen Versagens entscheide ich mich für einen Mittelweg, der mir einerseits den Anschluss zu unterschiedlichen sozialen Kreisen mit verschiedenen Meinungen über den politischen und ästhetischen Aspekt von Körperbehaarung gewährleisten sollte, andererseits jedoch das Gefühl nach etwas Restrenitenz wahrt, erhebe mich schließlich in eine stehende Position und trockne mich ab.

 Anschließend umwickele ich mich mit meinem ja ohnehin schon teilweise nassen Handtuch und stehe eine Weile unschlüssig auf dem Badevorleger herum. Nachdem ich mich auf unbestimmte Zeit in das Muster der Badkacheln vertieft und endlich dazu durchgerungen habe, meinen Hand- tuchmantel, unter dem es mittlerweile schön warm ist, wieder aufzumachen und der feindlichen Frischluft Einlass zu gewähren, trockne ich mich schnell ab. Als ich fertig bin fällt mir ein, dass der Stöpsel noch im Abfluss steckt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals daran gedacht zu haben, in herauszuziehen, solange ich noch im Wasser stehe, und tauche meine Hand resigniert in die nun endgültig feindseelig erscheinende Nässe. Ich bin froh, die Sisyphosarbeit der Körperhygiene für heute hinter mich gebracht zu haben, und beschließe, zur Belohnung erstmal ins Bett zu kriechen.