Donnerstag, 25. April 2013

Dieser Text wird wütend geschrieben

Es gibt auch in einer Stadt mit einer eigentlich beträchtlichen Einwohnerzahl mitunter sehr wenige öffentliche Orte, die ein Mensch besuchen kann, ohne befürchten zu müssen, aufgrund seiner Erscheinung kategorisch in Schubladen eingeordnet zu werden. Abgesehen von der Tatsache, dass allein dieser Anspruch auch dort kaum jemals uneingeschränkt erfüllt wird oder werden kann, ist es dennoch tröstlich, eine Art Rückzugsraum zu haben, der einer/m ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Da ist es umso schlimmer, wenn dieses Gefühl gleich mehrmals in einer Woche in Frage gestellt wird.

Ich wünsche mir einen Ort, in dem ich sein kann. Einen Ort, an dem ich mir nicht überlegen muss, in welchem Maße ich "aufreizend" angezogen bin, um mich schon mal drauf einstellen zu können, wie viele sexistisch-plumpe Anmachen ich über mich ergehen lassen muss. Das ist eine Sache, die so normal scheint, dass sie meistens noch nicht mal als beachtenswert erkannt wird. Aussehen und eine Art, sich zu kleiden, sollte keine Überlegungen zu Folge haben müssen, wie ich mich verhalten muss, um zwar nette Gespräche zu führen, aber später auch ohne Belästigungen nach Hause gehen zu können. Ich möchte mir nicht überlegen müssen, ob ich heute einen Rock oder eine Hose trage, ob ich geschminkt bin oder nicht, ob ich hohe Schuhe oder Sneakers trage, um einschätzen zu können, wie wahrscheinlich es ist, auf dem Heimweg Probleme zu bekommen. Ich wünsche mir, nicht sicherheitshalber über die Schulter schauen zu müssen, bevor ich meine meine Haustür aufschließe, in der diffusen Angst, irgendwer könnte in letzter Sekunde noch alles zum Beschissenden wandeln. Ich möchte mir nicht überlegen müssen, wie viel Distanzverhalten angebracht ist, um, je abhängig von meinem Äußeren, Gespräche führen zu können, die nicht nur darauf ausgelegt sind, wann und wie ich denn nach Hause komme, sondern wer ich so bin und was ich so denke.
Ich wünsche mir einen Ort, an dem Menschen ungeachtet jeden Geschlechts (oder jeder Konstruktion von Geschlecht) agieren und sein und sich ausleben können.

Es ist wichtig, solche Orte zu haben und zu schützen. Orte, in denen Kategorien zwar vorhanden sind, jedoch immer hinterfragt und diskutiert werden sollten. In denen es nicht um eine möglichst große Einlussnahme innerhalb einer Gruppe geht, sondern um ein schönes Ganzes. Um eine ausgewogene Mischung aus Konsens und Individualität.

Sonntag, 21. April 2013

analysis paralysis


sanft surrende Begleiter

Kühlschranktüren geben viel Information über die Benutzer_innen des Kühlschranks. Ist sie einfach ganz unbeklebt/unbeschriftet/unmagnetet? Ist sie aus Edelstahl? Sind darauf Generationen von Fingerdapsern zu sehen, oder ist sie klinisch rein? Sagt das was aus? Ist sie einfach dreckig? Kleben kitschige Urlaubssouveniermagneten dran? Sind damit Hochzeitseinladungen/ Kinderzeichungen/ Babyfotos festgemacht? Ist das abschreckend? Notizzettel? Einkaufslisten? Nahrungsmitteltabellen? Ubahnfahrpläne? Drohungen an die essenklauenden Mitwohnenden? Sticker? Tags/Sprüche mit Edding/Marker? Flaschenöffner, festgemacht mit einer Schnur? Warnhinweise zur Benutzung jegleicher Art, unleserlich geschrieben mit einem schon etwas leeren Filzstift, festgemacht mit asymetrischen, unaunsgewogen verteilten Klebebandstreifen?

Sonntag, 14. April 2013

frei nach banksy


Junge oder Mädchen?

Anlässlich des 1. Geburtstages eines hochgeschätzten Menschens begebe ich mich in eine für mich relativ fremde Welt, die Welt der Spielzeuge, bunten Sachen, Mini-Klamotten, Bücher mit vielen Bildern und wenig Schrift. Eine Welt, die mir vertraut war und nun fremd geworden ist. Ich suche, auf Anregung, nach Küchenspielzeug. Ich lasse mich beraten und so überfällt mich der fremden Umgebung alsbald eine leider sehr vertraute Haltung. 
"Ja, das hier ist ganz toll. Das sieht sehr echt aus, das ist Ihnen wichtig, und mit dem kleinen Töpfchen kann Sie dann nachmachen, was sie bei ihrer Mutter sieht."
Aha. Was Sie bei ihrer Mutter sieht. Der Fall scheint klar zu sein. Kleine Töpfe und Holzgemüse, das muss für ein Mädchen sein. Und in der Küche steht sicherlich die Mutter. Wenn ich gefragt hätte, was ich denn einem einjährigen Kind schenken könnte, wäre die Antwort sicherlich "Junge oder Mädchen?" gewesen. 
Wenn so ein frischer Mensch bereits permanent mit einem solch binären und festgelegten Denkmuster beschallt wird, wie soll er sich denn daraus vernünftig befreien können? Ich denke, mit 26 Jahren, nun sehr viel über diese Sache nach und weiß, dass ich weit davon entfernt bin, vernünfig beurteilen zu können, ob ich tue, was ich tue, weil ich es will, oder weil ich es so gelernt habe. Rasiere ich mir die Beine, weil ich es tatsächlich schöner finde? Habe ich lange Haare, weil sie mir besser stehen? Wenigstens die Frage, warum ich nicht einfach mein T-Shirt ausziehe, ist klar. Ich würde mich ausgesaugt fühlen, von den Blicken. Deshalb habe ich mich, als mir meine Brüste gewachsen sind, zunächst widerwillig dafür entschieden, nun doch ein Mädchen zu sein. Zuvor wäre ich sehr gerne ein Junge gewesen. Vielleicht war ich einer. Vielleicht bin ich jetzt gar keine Frau. Ich dachte, ich müsste mich entscheiden, weil die Gesellschaft denkt, ich müsste mich entscheiden. 
Lieber N., vielleicht hast du mal die Freiheit, zu entscheiden, wer du sein willst, nicht was. Ich werde versuchen, dir dabei zu helfen. Wenn du ein Junge sein willst, freue ich mich, wenn du ein Mädchen sein willst, auch, und wenn du jemand ganz anderes sein willst, genauso sehr. Wenn du möchtest, werde ich dir helfen, dir Flügel zu basteln, und hoffe, dass sie dich durch ein selbstbestimmtes Leben tragen. Zurzeit scheinst du ein kleiner Junge zu sein, der sich ziemlich darüber gefreut hat, mit Holzgemüse um sich zu werfen. Das ist ok, ich hätte auch mehr Lust, Tomaten zu werfen, als sie zu kochen. Aber vielleicht bringst du mir genau das eines Tages bei?